Ein Jahr später gab ich eine Kontaktanzeige im Journal Frankfurt auf und es meldeten sich exakt 20 Typen bei mir per Brief. Mann, war das aufregend als der Umschlag mit den Chiffre-Briefen bei mir ankam. Also erst mal vorselektieren nach Briefen mit Bild und ohne Bild. Zuerst die Briefe mit Bild und ja, so ist es halt, ich habe gerne was zum Hinschauen. Leb damit! Witziger Weise war da auch direkt ein Kandidat dabei, der mir auf Anhieb gefallen hat. Christian aus Herne. Das Bild gefiel mir auf Anhieb und jetzt an die Magie der Worte. Erstmal ein Brief zurück dann wieder einer zu mir und im nächsten dann fix die E-Mail-Adressen und interne Chat-Account-Daten ausgetauscht. Wir schrieben uns über Wochen und es war herrlich. So viel Gefühl in jedem Wort und so viel Gefühl von Liebe in mir. Darauf folgten Nächte lange Telefonate und Gute-Nacht-Geschichten und sogar ein „ich hab` dich lieb“ über den Hörer, und das nur durch Hören und Lesen. Woooowww, mega großartig. Wir haben uns tatsächlich erst zwei Monate später getroffen und, was soll ich sagen, es war magisch und hat wunderbar gepasst. Einige Jahre später nahm ich als Kandidat beim ersten schwulen Herzblatt teil. Die Urmutter der Blind-Dating TV Shows. Ich war einer der drei Kandidaten und keiner von uns hatte eine Ahnung, auf welchen Prince-Charming wir da am Abend auf der anderen Seite treffen werden. Die Proben liefen top-secret ab und wir begegneten dem Mystery-Man nirgendwo. Erst am Abend, als die Show aufgezeichnet wurde, hörten wir zum ersten Mal seine Stimme und er unsere. Weiterhin kein Bild – so ein Mist, ich stehe auf Bilder. Ok, dann halt wieder mal den auditiven Kanal auf Empfang gestellt und mach dir dein Bild. Markus, so hieß der Mann auf der anderen Seite der Wand in Herzfrom, hatte eine sehr sympathische und männliche Stimme. Ich sage euch, Bilder in meinem Kopf, uiuiuiu. Da ich ja einer der auszuwählenden Kandidaten war, konnte ich mich entspannen. Nachdem die bezaubernde Susi die Zusammenfassung sprach, kamen die berühmten Worte: „Markus, wer soll denn jetzt dein Herzblatt sein?!“ und ab dem Moment war ich mega unentspannt. Jetzt war ich schon mal da, dann will ich auch gewählt werden und den Kerl meiner Träume finden. Ganz abgesehen vom Flug im Hubschrauber. Im Bruchteil von einer Sekunde sagte Markus dann: „ich wähle Kandidat zwei“. Bähhhmmmmm, das war ich. Ich stehe also vor dieser Wand, es kribbelt in meinem ganzen Körper. Die Spannung steigt und der Satz kommt. „Und Hier ist dein Herzblatt“ ertönt aus den Lautsprechern. Die Wand öffnet sich und vor mir steht definitiv jemand anderes als der Mann, den ich mir in meinem Kopf vorgestellt habe. Ok, Mama hat mich gut erzogen und Oberflächlichkeit lasse ich jetzt mal weg. Schließlich hat sich Markus ja sehr sympathisch angehört und vielleicht kann ich über dieses glänzende Samt-Zebra-Shirt und die Ringhalskette hinwegsehen und es wird ein lustiger Abend. Wir wurden von der Produktion zu einem tollen Dinner-for-Two geschickt und lernten uns bei Kerzenschein und Wein besser kennen. Und ja, Markus ist wirklich sehr sympathisch und die Schmetterlinge im Bauch, also das Gefühl, war nun anders. Ich mochte ihn und das auf einer Freundschaftsebene. Aus uns wurde auch nach dem Herzblatt-Hubschrauber-Flug und dem Tag in Bad Alexandersbad kein Liebespaar. Wichtig daran ist, dass ich eine wundervolle Zeit hatte.
Was ist denn also dran an der Liebe auf den ersten Ton und wie gut kann so eine Art von Liebe ohne visuelle Reize ganz wertfrei und ungezwungen funktionieren. An dieser Stelle mach dir am besten zu aller erst klar, was das Nebel in Tüten Wort oder im NLP Fachbegriff, diese Nominalisierung „LIEBE“ für dich überhaupt bedeutet. Jeder Mensch hat eine andere Vorstellung von Liebe. Jeder füllt Liebe anders. Jeder benötigt andere Dinge und andere Wahrnehmungen, um Liebe als Gefühl zu spüren. Wie ich finde, ist das schon sehr faszinierend. Ein Wort, und so viel unterschiedliche Bedeutung. Wenn du dir nun im Klaren darüber bist, was du brauchst, um LIEBE zu spüren, zu hören oder ein Bild davon zu haben, dann gib dir zu aller erst diese Dinge, Worte oder Taten selbst, bevor du sie von anderen erwartest. You go first. Wie sagt Ru Paul so schön: „If you can´t love yourself, how in the hell can you love somebody else?“ Mach gerne mal was anderes beim Kennenlernen eines anderen Menschen. Wenn dich bisher deine Augen getäuscht oder das, was du gehört hast, verwirrt oder dein Gefühl unergründlich war, dann mach mal was anderes. Fokussiere dich auf einen anderen Wahrnehmungskanal, statt deinen Vertrauten zu verwenden. Dann sei genau bei dem, was du tust. Sieh genau hin, hör genau hin, fühle ganz detailliert in dir, was da passiert und dann entscheide dich.
Egal wie meine Bild-Dates ausgegangen sind, von Freundschaft über kurzes Tächtel-Mächtel bis hin zur sehr schönen Beziehung. Eines ist mir in all der Zeit klargeworden. Ich bin in der Lage, einen anderen Menschen mit allem Drum und Dran zu lieben, und ich liebe mich mehr.
Ich bin gespannt welches der Paare, die sich bei „Love is Blind“ kennengelernt haben, auch wirklich heiraten und dann auch noch mit allem Schick-Schnack ihr gemeinsames Leben, basierend auf den ersten Ton, spannend aufrechterhalten.
Und ja, ich habe mittlerweile verstanden, dass auch wenn „ich liebe dich!“ und „I love you!“ 8 Buchstaben haben und es 3 Worte sind, gibt es weitaus mehr als nur 1 Gefühl oder 1 Bedeutung. Diesen 8-3-1 Gedanken überlasse ich dann doch lieber dem Liedtext von Lisa Stansfield und es ist ein großartiges Lied. In diesem Sinne lausche ich einfach der wunderschönen Stimme von Lisa, schwelge in ganz viel Liebe, die mich umgibt, und beschere mir gute Gefühle. Egal, was um mich rum geschieht.
Es ist ja dein Leben. Mach´s witzig.
Bis zum nächsten Mal
Dein Paddy